«Wir bringen den Innovationsgeist in die Politik» - Paolo Marioni im Interview mit dem Magazin HSG Alumni

Dieser Artikel wurde am 14. September im Magazin der HSG-Alumni veröffentlicht und ist im Original unter folgendem Link abrufbar.

Wie bringt man Politiker verschiedenster Parteien zur konstruktiven Zusammenarbeit? Ein Startup rund um HSG-Alumnus Paolo Marioni arbeitet u.a. mit Kollaborationsmethoden aus der Privatwirtschaft daran. Jüngst ist das Startup für sein erstes Format, den «Policy Sprint» mit dem Europäischen Preis für Politische Innovation 2023 ausgezeichnet worden.

Das Team von Expedition Zukunft mit Pascal, Johanna, Paolo und Bettina.

Das Politherz schlägt dieser Tage wieder höher. Es stehen die nächsten nationalen Wahlen an. In den letzten Wochen und Monaten haben sich hunderte Kandidatinnen und Kandidaten der Bevölkerung präsentiert, an Podiumsdiskussionen teilgenommen oder mit Wahlplakaten auf sich aufmerksam gemacht. Politikerinnen sind dabei einem paradoxen Spannungsverhältnis ausgesetzt: so müssen sie nach aussen ihre eigene Brand stärken, nach innen aber in der täglichen politischen Arbeit auf andere Kollegen und Parteien zugehen, um die eigenen Anliegen mehrheitsfähig zu machen.

Letzteres scheitert leider allzu oft, wie am Reformstau ersichtlich wird: Antworten auf den Fachkräftemangel, die schwierigen Beziehungen zur EU, den richtigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz, die Klimakrise oder für eine bezahlbare Alters- und Gesundheitsvorsorge lassen auf sich warten.

Das HSG-Startup rund um Paolo Marioni (#classof2014) hat es sich zur Mission gemacht, dies zu ändern. Marioni absolvierte nach seinem Bachelorstudium in Business Administration den MOK und schloss diesen 2014 an der HSG ab. Im Mai 2021 gründete er zusammen mit Schweizer Kommilitonen der Uni Zürich, Oxford, Sciences Po Paris und der ETH den Think & Do-Tank Expedition Zukunft, mit dem Ziel, mehr überparteiliche Kollaboration in die Schweizer Politik zu bringen. Für ihre Bemühungen erhielten sie den diesjährigen Europäischen Preis für politische Innovation, welcher jedes Jahr unter dem Patronat der EU-Kommission und dem Europarat verliehen wird.

Paolo, du hast an der HSG BWL studiert. Wie kommt es, dass du jetzt im Non-Profit Bereich und in der Politik tätig bist?

Sowohl das Studium als auch mein Vereinsengagement haben mich geprägt. Die vielfältige Landschaft studentischer Vereine ermöglichte es mir, mich mit viel Hingabe bei oikos zu engagieren. Dort habe ich oft über die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft nachgedacht. Kurse wie Wirtschaftsethik vertieften mein Verständnis dafür, Unternehmen als wesentliche Akteure im politischen Kontext wahrzunehmen anstatt nur als Gegenspieler. Die Möglichkeit ein Hochschulpraktikum an der Schweizer Botschaft in Berlin im Bereich Innovation & Technologie zu absolvieren, bestärkte meine Affinität zur Innovations- und Tech-Startup-Szene. Heute bringen wir mit Expedition Zukunft diesen Innovationsgeist in die Politik.

Bei Expedition Zukunft bringt ihr Ansätze und Kollaborations-Praktiken aus der Privatwirtschaft sowie internationalen Organisationen in die Schweizer Politik. Wie macht ihr das?

Wir leisten grundsätzlich eine Übersetzungsarbeit. Wir nehmen kollaborative Methoden und Prozesse, die sich bereits anderswo bewährt haben und passen diese für spezifische politische Fragestellungen und die Bedürfnisse des politischen Kontexts der Schweiz an.

In meiner Zeit bei diversen Digital- und Kreativagenturen bin ich mit einer Vielzahl solcher Methoden in Berührung gekommen. Ich habe es geliebt, verschiedene Perspektiven und Menschentypen wie Entwicklerinnen, Designer, Kreative oder Business Analysts zu begleiten und sie für die Erreichung eines Zieles zusammenzubringen. Bei Expedition Zukunft bringen wir statt Techies und Kreative nun einfach SPler und FDPler zusammen.

Könntest du ein konkretes Beispiel dazu machen?

Wir möchten der politischen Polarisierung entgegenwirken, indem wir die Art und Weise, wie Politik gemacht wird, verbessern.

Aus dem Sub-Set des Design Thinking gibt es zum Beispiel den Design Sprint. Dieser stammt ursprünglich aus der Google-Venture-Welt. Der Ansatz versucht in kurzer Zeit von einem Problem auf eine Lösung zu kommen und diese zu testen. Unser erstes kollaboratives Politikformat – der Policy Sprint – erfüllt genau diesen Anspruch: in zweieinhalb Workshoptagen arbeiten Politikerinnen und Politiker verschiedenster Parteien gemeinsam mit Fachexpertinnen und -experten an politischen Lösungen und prüfen im Prozess auch bereits deren Machbarkeit. Danach werden sie überparteilich in den regulären parlamentarischen Prozess eingebracht.

Viele sind erstaunt, dass das funktioniert, aber schliesslich geht es auch in der Politik darum, gemeinsam das Beste für unser Land und dessen Bevölkerung herauszuholen. Wenn man bereits bei der Problemdefinition überparteilich arbeitet und gestützt auf das Wissen von führenden Experten im gleichen Raum an einer Lösung brütet, kann man schnell herausfinden, was wirksam und zugleich politisch machbar ist. Mehrere überparteiliche politische Vorstösse werden nun im Parlament behandelt (ein Grossteil mit Empfehlung des Bundesrates). Die ersten davon waren bereits erfolgreich und sind nun in der Umsetzung.

Expedition Zukunft ist ein politisch neutraler Think & Do-Tank und als Verein organisiert. Warum genau diese Organisationsform und wie finanziert ihr euch?

Einfach gesagt, weil keine bessere Organisationsform für unser Sozialunternehmen existiert. Es gibt in der Schweiz für solche Vorhaben keine idealen Gesellschaftsformen, wie es zum Beispiel in Deutschland mit der gemeinnützigen GmbH der Fall ist. Wenn man für die Gesellschaft etwas Neues, impact-orientiertes aufbauen will, sind Stiftungen wie zum Beispiel der Migros-Pionierfonds sehr wertvolle Partner. Dafür ist ein Verein das einfachste Konstrukt. Mit deren Anschubfinanzierung konnten wir kollaborative Formate entwickeln, die wir mittlerweile auch anderen Organisationen im politischen Kontext, wie Bundesämtern, staatsnahen Betrieben oder Interessengruppen anbieten. Wir begleiten sie mit unseren Formaten und unserem Prozesswissen, lösen ihre politischen Blockaden und erhalten dafür eine Entlohnung. Damit erreichen wir unser Impact Ziel und sichern gleichzeitig unsere langfristige finanzielle Nachhaltigkeit. Die Erlöse fliessen voll und ganz dem Vereinszweck zu.

Non-Profit zu sein macht uns hier nicht weniger dynamisch, dienstleistungs- oder marktorientiert. Aber wenn wir Erfolg haben, investieren wir die Erträge als Verein in weiteren Impact, statt in Dividendenzahlungen.

Was unterscheidet euch von anderen politischen Think-Tanks oder Konferenzen?

Die meisten Think-Tanks tragen Innovation im politischen Kontext voran, indem sie thematische Vorschläge (z.B. in der Gesundheits-, oder der Aussenpolitik) erarbeiten. Wir sind Themen-agnostisch. Unser Fokus liegt auf der Prozessinnovation. Bei uns geht es um die Art und Weise, WIE Politik funktioniert. Im Vergleich zu klassischen Konferenzen fokussieren wir uns nicht nur auf den Wissensaustausch, sondern auf die gemeinsame Umsetzung politischer Lösungen, die wir möglichst bis ins Parlament begleiten.

Impressionen aus dem Policy Sprint

Wie messt ihr euren Impact?

Bei solchen Fragen bin ich echt neidisch auf meine Kollegen in der Privatwirtschaft. Das schöne an BWL ist, dass man durch den Profit eine gute und einfach Art der Erfolgsmessung hat. Im Non-Profit-Bereich existiert diese eine Währung nicht. In unserem Fall haben wir gewisse Indikatoren, die strukturelle Veränderungen betrachten: Wie viele politische Lösungen werden in unserem Prozessen entwickelt, wie viele Vorstösse entstehen und wie breit werden diese getragen. Hier geht es um unsere Kernthese: Funktioniert kollaboratives Policymaking?

Uns ist aber auch die kulturelle Dimension wichtig. Langfristig geht es uns um ein Umdenken in der Politik hin zu mehr Kollaboration. Wir schauen deshalb auch, wie viele Personen mit innovativen Policy-Making Methoden in Berührung kommen, und wie viele davon überzeugt sind von den Methoden. Net-Promoter-Score ist hier das Stichwort.

Was waren die grössten Herausforderungen der letzten Jahre seit dem Start von Expedition Zukunft?

Als neue Organisation im politischen Millieu Fuss zu fassen erfordert viel Ausdauer. Mein Co-Founder Pascal Müller-Scheiwiller hat mit viel Herzblut über Monate hinweg immer wieder die richtigen Leute kontaktiert und Überzeugungsarbeit geleistet. Sind die Schlüsselpersonen aber erst mal an Bord, gibt das einen Signaleffekt: “Wenn der/die dabei ist, kann ich nicht fehlen.”.

Welchen Tipp hast du für zukünftige Gründer?

Gründen kann eine hervorragende Möglichkeit sein, etwas nach den eigenen Vorstellungen zu verwirklichen und dabei extrem viel zu lernen. Zögert nicht, auch diesen Weg als Option für euch in Betracht zu ziehen. Und – jetzt spricht der Impact Paolo – es muss auch nicht immer etwas Klassisches sein. Traut euch in den Impact Bereich zu gehen: Der entwickelt zurzeit eine super Dynamik – worth a look!

Die HSG bestreitet ihr 125. Jubiläum. Was hat dir deine Alma Mater mit auf den Weg gegeben und was wünschst du ihr für die Zukunft?

Man merkt’s vielleicht: Ich bin stolzer HSGler. Einfach weil ich meine Jahre an dieser Uni als unglaublich prägend empfand. An der HSG bin ich zum ersten Mal bewusst mit dem Thema Kollaboration und Zusammenarbeit in Berührung gekommen. Durch das Studium hinweg immer wieder in Gruppen mit neuen Menschen – auch unter Druck – arbeiten zu müssen, war eine unglaubliche Lernerfahrung. Das merken wir, wenn wir heute HSG-Absolventen als Praktikantinnen und Praktikanten bei uns einstellen: Sie können sich gut im Team integrieren und sind schnell ready for Action und Impact. Mein Wunsch für die HSG wäre deshalb, dass sie diesen Geist der Kollaboration beibehält und noch mehr tolle Leute an sich binden kann, um gemeinsam an mutigen, kollaborativen Zukünften und Welten zu arbeiten.

Stichwort Kollaboration: Wie können euch andere HSG Alumni unterstützen?

Wir möchten der politischen Polarisierung entgegenwirken, indem wir die Art und Weise, wie Politik gemacht wird, verbessern. Wir sehen überparteiliche Kollaboration als Lösungsweg für komplexe politische Probleme. Für das brauchen wir Weggefährtinnen und Weggefährten. Ich freue mich über jede Kontaktaufnahme durch Alumni, die sich auch eine kollaborativere, innovativere, zukunftsgerichtetere Politik wünschen. Lasst uns schauen, was wir gemeinsam bewegen können.

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