Innovationspotenzial in der Schweizer Politik - Erkenntnisse aus 25 Interviews

Diesen Herbst stehen die nationalen Wahlen an. Das politische Geschehen mit all seinen Eigenheiten und Dynamiken nimmt nochmals an Fahrt auf. Ein guter Zeitpunkt, um das Innovationspotenzial im politischen Betrieb zu explorieren. Wir fragten diverse politische Akteure, wie der Prozess zur Entwicklung politischer Lösungen verbessert werden könnte; und wie wir sie dabei unterstützen können, wirksame Politik zu machen. Der Hintergrund:

Bei Expedition Zukunft entwickeln, testen und verbreiten wir Formate für eine kollaborative politische Lösungsentwicklung und Entscheidungsfindung. Nachdem unser erstes Format, der Policy Sprint, mit dem europäischen Preis für politische Innovation ausgezeichnet wurde und mehrere, in Policy Sprints erarbeitete Vorstösse im Parlament angenommen wurden, starten wir mit der Entwicklung weiterer Formate. Dabei gehen wir vom spezifischen Kontext und den Bedürfnissen unserer Anspruchsgruppen aus. Als ersten Schritt führten wir also 25 Interviews mit diversen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Medien durch - mit spannenden Erkenntnissen.

Aus unseren Gesprächen ergeben sich fünf Haupterkenntnisse:

1. Ein frühes Einbeziehen relevanter Akteure bei der Gestaltung politischer Lösungen beschleunigt Prozesse und führt zu höheren Erfolgschancen

Für die Gestaltung mehrheitsfähiger, wirkungsvoller Lösungen ist wichtig, relevante Akteure bereits in der vorparlamentarischen Phase, in der Gesetze entwickelt und formuliert werden, einzubeziehen. So können Prozesse beschleunigt und unangenehme Überraschungen verhindert werden, z.B. dass referendumsmächtige Akteure Geschäfte am Ende blockieren. Dabei gilt: informell sind die Prozesse schneller. Wer Leute zusammenbringt und überzeugt, gewinnt. 

Das bestätigt den Ansatz unseres Policy Sprints, die relevanten Akteure zur gemeinsamen Definition von Handlungsfeldern und Gestaltung von Lösungsansätzen zusammenzubringen. 

2. Während die Komplexität der Themen zunimmt, fehlt es Milizparlamentariern und -parlamentarierinnen an Zeit und Ressourcen, um sich fundiert einzuarbeiten

Im Schweizer Milizsystem üben Parlamentarier und Parlamentarierinnen ihr Amt meist nebenberuflich aus. Gleichzeitig nimmt die Komplexität und Vielfalt der zu behandelnden Themen zu. Vielen Ratsmitgliedern fehlen daher Zeit und Ressourcen, um sich fundiert in die zahlreichen Geschäfte einzuarbeiten. Gerade neuen Parlamentariern fehlt am Anfang zudem oft das Wissen zu politischen Verfahren und Dynamiken auf nationaler Ebene, um sofort wirksam politisieren zu können.

Wir fragen uns deshalb: Wie können wir insbesondere neu gewählte Ratsmitglieder dabei unterstützen, von Anfang an wirksam Politik zu betreiben? 

3. Parteipolitik kann die Umsetzung wirkungsvoller politischer Lösungen behindern

Während für einen Teil der Politikerinnen und Politiker überparteiliches Arbeiten bereichernd ist und sich bei vielen Themen Politiker verschiedener politischer Lager zusammentun, verhindert die Parteipolitik bei anderen Geschäften wirkungsvolle Lösungen. Manchmal werden Vorschläge nicht primär wegen Inhalten abgelehnt, sondern weil sie von einer bestimmten Partei kommen. 

Entsprechend sollen auch unsere neuen Formate die parteiübergreifende Lösungsfindung und damit die Umsetzung wirkungsvoller Massnahmen unterstützen. 

4. Das Angehen grosser, dringlicher Herausforderungen kommt in der Politik zu kurz

Die Politik beschäftigt sich häufig mit sehr spezifischen oder laufenden Geschäften, während dringliche gesellschaftliche Herausforderungen nicht angegangen werden. Sich grossen Fragen anzunehmen ist zeitaufwändig, komplex und braucht Mut. In der Politik fehlen oft Zeit und Raum, um über Zusammenhänge, Zielkonflikte und langfristige Auswirkungen zu reflektieren. Auch die Anreize dafür sind klein: gerühmt wird, wer viele Vorstösse macht - egal, wie wirkungsvoll diese sind. 

Das führt uns zur Frage: Wie können wir einen Raum schaffen für eine fundierte Auseinandersetzung mit den grossen, gesellschaftlichen Herausforderungen?

5. Das grosse Wissen der Verwaltung stärkt ihren Einfluss; gleichzeitig könnte dieses von der Politik noch mehr genutzt werden

Das Wissensgefälle und das Ressourcenungleichgewicht zwischen Verwaltung und Parlament wird durch die zunehmende Komplexität der Themen verstärkt. Die Verwaltung kann grossen Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen. Gleichzeitig könnten Ratsmitglieder durch einen gezielten Austausch noch mehr vom breiten Wissen und der langjährigen Erfahrung der Verwaltung profitieren. 

Uns interessiert, wie das Potenzial von Wissen und Erfahrung der Verwaltung in der Politik noch mehr genutzt werden könnte.

Zwei neue Formate werden exploriert

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse entstand eine breite Palette an Ideen. In einem ersten Schritt fokussieren wir uns auf die Aspekte der Ressourcenknappheit für die parlamentarische Arbeit, sowie den fehlenden Raum für langfristiges Denken in der Politik: 

  • Bootcamp für neue Parlamentarierinnen und Parlamentarier: Der interaktive, 1-2-tägige Kurs soll neu gewählte Ratsmitglieder dabei unterstützen, sich in der Politik von Anfang an wirkungsvoll einzubringen. Der Fokus soll auf praktischem Wissen und sozialen Kompetenzen liegen, z.B. dem Umgang mit effektiven Vorstössen, dem Zusammenspiel zwischen den Räten oder der wirkungsvollen Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Nicht zuletzt geht es ums Kennenlernen und Netzwerken. 

  • Imaginarium: In diesem Labor für politische Visionen schaffen wir Raum für die Auseinandersetzung mit der Zukunft: Diverse Akteure entwickeln gemeinsam wünschenswerte Zukünfte in einem bestimmten Themenbereich. Die resultierenden breit abgestützten Zukunftsnarrative dienen als Basis für die Entwicklung von politischen Massnahmen im Heute. 

Im nächsten Schritt testen wir diese Ideen im Austausch mit der Politik: Das Imaginarium werden wir zu einer konkreten Fragestellung im Bereich Digitalisierung durchführen; für das Bootcamp tauschen wir uns nun mit den wichtigen Stakeholdern wie den Fraktionen, den Parlamentsdiensten und erfahrenen Ratsmitgliedern aus.


Bei Interesse an einem der neuen Formate, meldet euch gerne bei Bettina.

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